Die Thürmersfrau
Wer den Kamenzer Hauptfriedhof besucht, sieht an der Kirchhofsmauer entlang viele alte Grabsteine, von denen ihm besonders zwei auffallen.
Der erste ist nahe dem Hauptportal und zeigt eine Frau mit drei Kindern. Das eine hält sie im rechten, das andere im linken Arm und das dritte steht neben ihr. Dieser Stein ist der Leichenstein der Frau Johanna Haberkorn. Ihr Gemahl war Leibarzt bei August dem Starken und besaß das "Feuerhaus".
Der andere Stein ist etwas weiter hinten zwischen den beiden Pforten, die vom Lessinggässchen her zum Friedhof heraufführen. Auch auf diesen Leichenstein sieht man eine Frau, die in jedem Arme ein Wickelkind hält. Der Stein wurde zum Andenken an Frau Rosine Schober errichtet, die an Zwillingskindern starb. Sie war die Ehefrau des Kamenzer Bürgers und Nadlers Alexander Schober.
Die Sage freilich weiß von den beiden Leichensteinen auf dem Hauptfriedhofe eine traurige Begebenheit zu berichten. Obgleich im Jahre 1764 die Kamenzer Kirche nicht von einem Brande heimgesucht wurde, so ist der Sage dennoch ein solcher bekannt. Der Kirchturm soll bis zur Brüstung heruntergebrannt sein.
Die Thürmersfrau, die zur Zeit des Brandes mit ihren Kindern droben in der Turmwohnung war, konnte sich nur noch bis zu dem eisernen Geländer retten. Da das Feuer immer gewaltiger wurde und der Rauch aus Türen und Fenstern quoll, kannte sie keinen anderen Rat, als mit ihren kleinen Kindern vom Turme in die Tiefe zu springen. Auf den harten Steinen fanden sie alle den Tod.
Noch heute gibt es eine Steinplatte mit den Buchstaben J:G:N: und mit der Jahreszahl 1764 bis Stelle an, wo dies geschehen sein soll.